Das Hansa-Gymnasium in Köln ist ein altehrwürdiges Haus, das ich noch nicht von innen gesehen hatte, bevor ich einem Hinweis im Internet folgte, demzufolge hier ein Talk-Auftritt stattfinden sollte. Ein Talkauftritt mit Schülern als Talk-Master und zwei Talk-Mastern als Gäste. Das war am 10. November 2008. Ich muss vorausschicken, dass ich mir anfangs etwas deplatziert vorkam, wegen des ganz offensichtlich sehr geringen Anteils an Nicht-Schülern und Nicht-Lehrern. Zudem bemerkte der Schulleiter in seiner Begrüßung, er sähe einige Gesichter hier zum ersten Mal. Das roch nach nicht-öffentlicher Veranstaltung. Aber gut. Der Saal - die Aula - war nicht voll und niemand machte Anstalten mich hinauszuwerfen ...

Aula des Hansa-Gymnasiums Köln
Die ausrichtende Schülerschaft hatte der Veranstaltung den Titel „Promis im Duett” gegeben. Man hatte also zwei prominente Mitbürger eingeladen. Es waren dies:

Anne Will, 42, in Köln groß gewordene Fernseh-Journalistin. Prominentenstatus hat sie spätestens seit 2001, als sie die Moderation der Tagesthemen übernahm. Seit 2007 moderiert Anne Will ANNE WILL. Davor moderierte auf dem gleichen Sendeplatz Sabine Christiansen SABINE CHRISTIANSEN. Vorbei die Zeiten, als Talkrunden noch eigenständige Namen hatten, wie „Internationaler Frühschoppen”.

Der zweite Gast im Duett war:

Jürgen Domian, 51, vom Radiosender 1live. Aufgewachsen ist er in Gummersbach, unweit von Köln. Auch er hat eine Talk-Sendung. Jürgen Domian moderiert DOMIAN. Seit 1995 tut er das und damit läuft Domians DOMIAN länger als Wills ANNE WILL, dafür aber zu einer ungünstigeren Sendezeit, nämlich werktäglich von 1 bis 2 Uhr nachts.

Ein Hinweis auf den Fanseiten von Domian und der glückliche Umstand, gerade in Köln zu weilen, hatten mich in die Veranstaltung getrieben, jedoch ohne vorgefassten Gedanken, darüber zu berichten. Daher ohne Notizblock oder Tonaufnahmegerät wohl aber mit Kamera. Die habe ich eigentlich immer dabei, wenn ich wo hingehe.

Podium, Jürgen Domian 2. v. r. und Anne Will, 2. v. l.

Doch nun zum Talk: Mit dem Promi-Duett zusammen auf der Bühne saß ein Schüler-Quartett. Die 4 befragten die Gäste nach einem System, das sich mir nicht erschloß. Die Talkrunde begann mit einer „persönlichen Frage” an Anne Will. So wurde die erste Frage jedenfalls angekündigt. Die persönliche Frage lautete: „Wie läuft die Produktion einer Sendung ab?” Das Publikum lachte, als es die Frage hörte. Anne Will wirkte überrascht. Vielleicht war sie auch erleichtert, nicht zu ihrer sexuellen Orientierung oder womöglich noch unbekannten Details aus ihrem Privatleben befragt zu werden. Ihre Antwort auf die Frage war genauso unpersönlich wie die Frage selbst. Ich schenke sie mir hier.

Auf diesem Niveau ging die Befragung weiter. Auch Domian war bald an der Reihe. Eine persönliche Frage wurde ihm nicht einmal angekündigt.

Bei den Nach-Recherchen zu diesem Bericht fiel mir auf, dass praktisch alle während des Abends gestellten Fragen bereits in Interviews vorkamen, die im Internet abrufbar sind.

Somit enthält auch dieser Bericht nichts bahnbrechend Neues. Als besonderer Service für alle, die sich auf meine Internetseite verirrt haben, hier dennoch eine Kurzzusammenfassung der Befragung:

Fragen an, Antworten von und meine persönlichen Eindrücke von Anne Will:

Anne Will findet sich gut. Sie ist nicht nervös. Sie mag ihren Job. Sie zahlt gerne Steuern, hat tausende von Interviews gemacht. Sie kriegt Heiratsanträge und Unterhosen Größe 46 zugeschickt. Die Redaktion schickt die Dessous zurück. Offenbar ist das nicht ihre Größe. Auf ihr Lächeln wurde sie schon angesprochen ...

Anne Will's Lächeln

... aber auch kritisiert wurde sie schon. Besonders von einem bestimmten Politiker, aber der sei heute nicht mehr im Amt. Breites Grinsen. In der Themenauswahl ist sie frei. Sie ist „der Chef”. Allerdings ist der Sendeplatz ihrer Sendung mit einer Erwartungshaltung verbunden was die Quoten angeht. Außenpolitische Themen laufen nicht so gut. Kürzlich hatten sie den Georgien-Konflikt gehabt, da waren die Quoten deutlich schlechter gewesen, aber immer noch sehr hoch für das Thema. Eigenlob. Diskussionen über Hartz IV oder Managergehälter laufen besser. Sie hat Respekt vor Politikern.

Anne Will

Frage: „Wie gehen Sie mit Gästen um, die ein starkes Bedürfnis zur Selbstdarstellung haben?” Antwort: „Alle meine Gäste sind starke Selbstdarsteller. Ich bin überhaupt der Meinung, dass alle Medienleute und Politiker starke Selbstdarsteller sein müssen.

Mein Gedächtnisprotokoll verzeichnet noch eine Frage zu dem Sofa in Anne Wills Sendung - Frage wie Antwort finde ich jedoch belanglos, werden hier daher nicht weiter ausgeführt. Von Jürgen Domains Äußerungen fand ich auch eine belanglos. Seine Meinung über Reich-Ranickis harsche Kritik am deutschen Fernsehen nämlich. Ich erwähne das nur, um Frau Will zu trösten und um auf Domian überzuleiten.

Fragen an und Antworten von Jürgen Domian sowie meine persönlichen Kommentare:

Jürgen Domian hat Germanistik, Philosphie und Politologie studiert und viele Interview-Seminare besucht. Beim WDR hat er als Kabelträger angefangen. Frage: Kommt bei seiner Sendung jeder Anrufer durch? (Aha! Jugend von heute = naiv oder schlecht vorbereitet?) Domian hat 25.000 bis 30.000 Anrufversuche pro Nacht. 150 davon kommen durch, etwa 6 davon in die Sendung. Domian hat (in 12 Jahren) etwa 18.000 Interviews geführt.

Jürgen Domian

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um bei Domian durchzukommen? Das Thema darf nicht zu trocken sein. Also z. B. nichts Juristisches. Man sei ja nicht nur dem Anrufer verpflichtet, sondern auch den Zuhörern. Und der Anrufer muss stabil sein. Etwa einmal pro Woche kommt es vor, dass jemand anruft, der sagt, er habe gerade Tabletten geschluckt und wolle jetzt noch gerne ein paar letzte Worte mit Domian wechseln. Solche Leute werden natürlich nicht durchgestellt, sondern ein Rettungsapparat wird angeworfen. Überhaupt brauchen Domians Zuarbeiter im Hintergrund ein gutes Gespür. Das hat nichts mit ihrer Ausbildung zu tun, welche sehr unterschiedlich ist. In aller Regel erkennen sie auch „Fakes”.

Höchste Einschaltquoten gab's beim Thema Sterbehilfe. Themen über Sexualität werden seltener. Wenn man bereits 10 mal was über Windelfetisch gehört hat, ist das nicht mehr so interessant. Am häufigsten angesprochen wird Jügen Domian auf sein Gespräch mit einem Hackfleisch-Fetischisten. Domian glaubt, das Thema Objekt-Sexualität öffentlich gemacht zu haben. (Ein Mann hatte angerufen, er habe Sex mit seinem Gitarrenverstärker).

Ob er glaubt, mit seiner Sendung etwas erreichen zu können: Ja. Beispiel: Einer Anruferin sollte wegen eines bösartigen Tumors das halbe Gesicht wegoperiert werden. Nach der Sendung meldeten sich viele Zuschauer per Mail. Einer davon gab den Tipp, einen bestimmten Facharzt aufzusuchen. Die Mail wurde der Anruferin weitergeleitet, diese folgte dem Rat und der Spezialist erkannte, dass es sich um einen gutartigen Tumor handelte, der nicht operiert werden musste. Die Frau konnte ihr Gesicht behalten.

Domian hat schon mal jemanden während der Sendung abgewimmelt, weil er ihm nicht glaubte. Recherchen hinterher hatten dann aber ergeben, dass der Fall doch echt war. Andersherum ist es auch schon vorgekommen. Manchmal denkt sich Domian im Nachhinein, in der Sendung etwas Falsches gesagt zu haben. Er ruft die Anrufer dann auch mal privat zurück.

Nach einer Sendung schläft Domian nicht gleich, sondern guckt fern oder surft im Internet.

Fragen, die an beide gestellt wurden:

Welche Fragen beide am unliebsten gestellt bekämen: Übereinstimmende Antwort: Wenn ein Interviewer sagt: „Über Sie ist schon so viel geschrieben worden ... fällt Ihnen etwas ein, was Sie mir erzählen könnten, was noch nicht gefragt worden ist?” Domian und Will sind beide der Meinung, das Mindeste, was ein Journalist tun sollte, ist, sich eigene Fragen auszudenken.

Domian und Will äußerten beide, dass ihre jeweiligen Sendungen im Privatfernsehen nicht möglich seien. Will findet, Werbeunterbrechnungen würden den Fluß ihrer Sendung stören, Domian möchte sich nach dem Zeugnis einer vergewaltigten Frau keine Werbung für Sex-Hotlines vorstellen.

Jürgen Domians Motivation: Eitelkeit

Dann war da noch die Frage an die beiden Journalisten nach ihrer jeweiligen Motivation für ihren Job. Während Domian mit „pure Eitelkeit” eine überraschend ehrliche Antwort gab, fiel Will nur „Neugier” ein.

Anne Wills Motivation: Neugier

Wahrscheinlich kannte sie Harald Martensteins Kolumne „Fokussieren” aus DIE ZEIT vom 22.07.2004 nicht, dort heißt es zu diesem Thema:

„Vor einiger Zeit hat das Fernsehen bei mir angerufen. Sie wollten etwas über Journalismus machen. Ein Reporter kam ins Büro. Er fragte: »Was ist im Journalismus wichtig?« ich antwortete: »Neugier«. Das war der größte Schwachsinn, den ich in meinem Leben jemals gesagt habe. In der Sendung kamen Dutzende von Journalisten vor, berühmte, halb berühmte und unbekannte, ich glaube, sogar Frank Schirrmacher. Auf die »Was ist wichtig?«-Frage haben alle die gleiche Antwort gegeben. Alle sagen das Gleiche! Wie in Nordkorea! Das hatten die Fernsehleute aber auch sehr schön zusammengeschnitten. Man sah einen Journalistenkopf nach dem anderen, und sie sagten alle nacheinander mit verschiedenen Stimmen: »Neugier.« – »Neugier.« – »Neugier.« – »Neugier.« Hinterher dachte ich: »Auch Katzen und Hunde sind neugierig. Trotzdem sind es in der Regel keine guten Journalisten.« *)

Zitat Ende. Ich habe das Zitat extra an das Ende meines Artikels gestellt, damit der bis dahin mir geneigte Leser nicht mitten im Text zur Online-Ausgabe der ZEIT springt, zwecks Lektüre weiterer köstlicher Kolumnen Harald Martensteins.

*) zitiert mit freundlicher Genehmigung des Autors

[16. November 2008]

 
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