Die Zeit, in der es noch zwei deutsche Staaten gab, gerät immer weiter in Vergessenheit. Hiermit rufe ich alle Wessis und Ossis auf, mir ihre Erinnerungen zu schreiben. Dabei sollte der Alltag im Vordergrund stehen. Bisherige Beiträge: Eigene
Erinnerungen an die DDR Eigene Erinnerungen an die DDR: Beim jedem Besuch in Ost-Berlin mußten Westdeutsche 25 DM in 25 Ostmark tauschen. Dadurch entstand ein gewisser Zwang, das Geld an dem Tag auch auszugeben. Einmal kam ich auf den Gedanken, Tischtennisschläger und -bälle zu kaufen. Das Kaufhaus "Zentrum" am Alexanderplatz bot davon eine reiche Auswahl. Als ich ein Jahr darauf wiederkam, dachte ich erneut daran, ein paar Bälle zu kaufen. Doch diesmal waren keinerlei Tischtennis-Utensilien mehr zu sehen. Ich fragte nach und erhielt die Auskunft: "Warum? Die hatten wir doch letztes Jahr!"
1985 besuchte ich eine Freundin in Dresden. Sie hieß Maria und arbeitete im VEB Anlagenbau Otto Buchwitz. Ob ich mal mitkommen wollte, fragte sie. Sie hätte sowieso nichts zu tun. Ich hatte ein wenig Schiß, aber interessant stellte ich es mir schon vor. Also ging ich mit. Ohne Kamera. Sehr ungewöhnlich für mich, aber als Spion verhaftet zu werden war damals nicht mein Lebensziel. Durch mehrere Ferienjobs, u. a. bei BOSCH in Stuttgart-Feuerbach, wußte ich, wie eine Fabrik von innen aussieht. Aber dieser DDR-Betrieb war ziemlich anders. Es hatte nicht den Anschein, als würde dort etwas produziert. Halbfertige Teile standen herum und hatten schon Rost gefangen. Maria führte mich in die "Entwicklungsabteilung" und zeigte mir deren Computer. Im Westen war gerade der "Volkscomputer", der Commodore VC 20, später der C64, in Mode gekommen. Was ich dort sah, war groß und schwer und hatte nicht annähernd die Leistung. Die Elektronenhirn mußte noch mit Hexcode gefüttert werden. Man improvisierte viel. Neue Leiterplatten waren wohl nicht vorhanden, aber man hatte noch eine Kiste mit Reststücken, damit werkelte man herum. Die Arbeiter, die mangels Rohmaterialien wirklich nichts mehr zu tun hatten, bastelten auf dem Werksgelände an ihren Trabis rum. Während des ganzen Besuchs war mir schon mulmig gewesen, doch dieses ungute Gefühl steigerte sich zur blanken Angst, als Maria unerwarteterweise doch zu irgendeinem Arbeitseinsatz gerufen wurde. Sie hatte mir vorher schon gesagt, ich sollte so tun, als sei ich ein Lehrling aus einem Zweigbetrieb. Als sie weg war, saß ich als Wessi also mit mir fremden Ossis im Forschungslabor eines volkseigenen Betriebs und hatte nur ein einziges Ziel im Kopf: Möglichst nicht aufzufallen, bis Maria wiederkäme. Es ging alles gut. Diese Erfahrung zähle ich zu den größten Abenteuern in meinem Leben.
Noch
'ne Erinnerung: U-Bahn-Fahren in Ost-Berlin.
Kati Lindemann, Frankfurt/Oder, Jahrgang 1978 "Wenn es denn doch mal Negerküsse zu kaufen gab, was man entweder erfuhr, wenn man zufällig in die Kaufhalle ging oder wenn man zielstrebig ging, weil man gehört hatte, dass es mal wieder was besonderes gab, dann musste man sich in jedem Fall beeilen. Die Negerküsse waren rationiert, das hieß, dass man pro Käufer nur eine bestimmte Anzahl kaufen durfte. Die gab es dann in braunen Papiertüten und waren sehr lecker, aber auch viel kleiner, als die Dickmanns." "Seit meinem 5. Lebensjahr war ich beim Turnen. Die Sucher kamen schon in den Kindergarten, um zierlich gebaute und sportliche Mädchen und Jungen für den Leistungssport zu interessieren und langfristig auszubilden. Ich kann mich noch erinnern, dass wir immer neidisch auf die Großen waren, weil die "Brausepulver" bekamen und wir jüngeren noch nicht. Außerdem durften die Älteren und Besseren eigene Küren turnten, wir jedoch lange Zeit nur die "Einheitskür". "Ich kann mich noch erinnern, dass jemand aus meinem Ort uns für viel Geld abfotografierte "BRAVO"-Bilder verkaufte. Das war für viele die einzige Möglichkeit an Bildchen von ihren Stars zu gelangen." "Während
unserer Jungpionierzeit wurden wir angehalten, Altstoffe zu sammeln. Wir
sind dazu immer mit Beuteln, die ganz Kleveren sogar mit Bollerwagen,
von Haus zu Haus gezogen, um nach alten Flaschen oder Zeitungen zu fragen.
Die haben wir dann entweder in der SERO-Annahmestelle abgegeben oder direkt,
im Wettkampf mit anderen Klassen, in der Schule gesammelt und dort dafür
Punkte bekommen. Am Ende eines Schuljahres war die Gesamtauswertung und
Klassenpreise für die besten Sammler." "Jedes Jahr zu Weihnachten und zum Geburtstag haben wir Westpakete von unseren Verwandten geschickt bekommen. Deren Inhalt: Kaffee, Schokolade, Seidenstrumpfhosen, Lux-Seife, abgetragene Sachen wie Samtpullover oder Jeans, Turnschuhe mit Klettverschluss, Lebkuchen mit Füllung, Federhalter, Kakao, Barbies, Mamba, Shampoo, Kaugummis und natürlich nicht zu vergessen: die Inhaltsliste." "Eine große Angst von vielen während der ersten Tage nach der Maueröffnung war, dass es sehr wohl sein könnte, dass sie bald schon wieder geschlossen wird. Das ist unter anderem auch eine Erklärung dafür, dass so viele Menschen sehr schnell in den Westen sind, um mal zu gucken, wie das da so ist." "Plastiktüten, wenn wir denn mal welche aus dem Westen bekamen, mussten oft umgedreht getragen werden." "Wenn
wir denn mal an Westgeld kamen, konnte es in 'Forumschecks' umgetauscht
werden. Mit diesen waren wir im Intershop und haben uns Matchbox, Tintenkiller,
Filzies, Ratzefummel und Schokolade gekauft."
Für
hervorragende Leistungen
C. Franziska Richter, Dresden, Jahrgang 1978 Anmerkung der Autorin: Der folgende Text beruht nur auf meinen Erinnerungen, ich erhebe keinen Anspruch darauf, ein perfektes Gedächtnis zu haben und bitte, falsche Bezeichnungen oder Ähnliches zu entschuldigen. Auch sind meine Erinnerungen nicht vollständig wiedergegeben es gibt noch vieles mehr, was sich aber in persönlichen Gesprächen besser erzählen läßt. Diesseits
der Mauer mein Leben in der DDR Thema
Lebensmittel: Thema
Medien: Thema
Politik:
Ansonsten: Im täglichen Leben wurde viel improvisiert und getauscht oder selber hergestellt. Das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) wußte Dinge über uns, die mich erschreckten, als ich einen Blick in die Akte meines Vaters warf, der mehrmals erfolglos angeworben wurde, um als IM [Informeller Mitarbeiter] zu arbeiten und dem entgehen konnte, indem er sagte, er könne seinen Mund nicht halten. Wir machten Urlaub an der Ostsee, in Polen oder der (damaligen) CSFR. Den Taumel, den ich in der Nacht vom 11. November 1989 empfand, werde ich nie vergessen, auch wenn ich damals nicht alles verstanden habe, was um mich herum passierte. Nun ist alles anders. Manchmal frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn es die Wende nicht gegeben hätte. Und bin dankbar dafür, dass es Gorbatschow gab. Und bin froh, dass alles so kam, wie es passiert ist und das ich zwei politische Systeme erleben konnte. Und wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass es ideale Staatsformen nur auf dem Papier gibt. C. Franziska
Richter, Juli 2002
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