Lorenz von Aichberger

„Woher kommt das 'von' in deinem Namen?”

Evelyn und Nadine aus Österreich wollten das kürzlich von mir wissen.

Ich nutze die Gelegenheit, ein wenig über den zu plaudern, dem ich diesen Namenszusatz verdanke: Es ist dies einer meiner 32 Ur-Ur-Ur-Ur-Opas.

Er hieß Lorenz Aichberger. Sein Papa, also mein Ur-hoch-5-Opa) hieß Johann und war Bauer und Schneider in einem kleinen bayerischen Dörfchen: Eresing am Ammersee.

Eresing hat heute 1.598 Einwohner und es wären noch einige mehr, wenn alle Eresinger so zeugungsfroh gewesen wären wie damals Johann und seine Frau Magdalena: Lorenz hatte 11 Geschwister!

Eresing, Hauptstraße 10 (1996) Geburtshaus von Lorenz Aichberger in Eresing am Ammersee

Aus den Lebenserinnungen des Lorenz:

„Ich ward am 5. August 1742 zu Eresing zu der Bayerisch Füllischen Hofmark Windach gehörigen Dorfe Landgerichts Landsberg, geboren. In diesem Pfarrorte war ein sehr geschickter Schulmeister, der mir nicht nur im Lesen und Schreiben, sondern auch besonders in der Singkunst solchen Unterricht gab, daß ich ad. 1752 bei dem ehemaligen Domkapitel in Augsburg in meinem 11. Jahre als Singknabe in den sog. Domkapitlischen Kapellhause aufgenommen wurde.”

Lorenz beginnt seine Laufbahn also als Sängerknabe in der Dorfkirche von Eresing.

Innenraum der Dorfkirche von Eresing

Dann erregt er bei Konzerten - „Singspielen” in Augsburg Aufmerksamkeit:

„Der Ruf meines Musiktalents gelangte zu den Ohren seiner herzoglichen Durchlaucht aus Bayern, Clement Franziskus, weil einer seiner Kammermusiker ... die Musik zu dem Singspiel bei der Endskomödie in Augsburg verfaßt hatte. Höchstselbe ließen mich daher nach München kommen, um mich zu hören, und da ich sowohl bei Höchstselben in der Kammer, als bei seiner churfürstlichen Durchlaucht Max Joseph bei offener Tafel zu singen die höchste Gnade hatte, mir Beifall erwarb; so wurde mir in der Folge von höchst gedacht seiner herzoglichen Durchlaucht der Antrag gemacht in höchst ihre Dienste zu treten mit dem Versprechen, daß höchst selbe mich dort studieren lassen, für meinen Lebensunterhalt sorgen, dann auf seiner einstig lebenslänglichen Versorgung bedacht sein würden.”

Lorenz reist also zum Casting nach München, wo er vor Herzog Clement Franziskus und Kurfürst Max Joseph, dem Dieter Bohlen des 18. Jahrhunderts, vorsingt. Der Herzog nickt gefällig und bietet Lorenz an, an seinem Hof Karriere zu machen. Lorenz läßt sich das nicht zweimal sagen:

„Als ein Bayer und geborenes Landeskind nahm ich diesen gnädigsten Ruf mit unterthänigst und innigstem Dank an, und wurde somit herzoglicher Kammersänger.”

Lorenz darf am Hofe des Herzogs singen und auf dessen Kosten Jura stu-
dieren. Er bekommt eine lebenslange Pension von jährlich 600 fl. zugespro-
chen [fl. = Florin = in Florenz geprägter Gulden].

Nicht schlecht für einen Teenager, nicht wahr?

Und weil er ein Superstar ist, wird er sogar in Öl gemalt!

Lorenz von Aichberger als Teenager

Doch damit nicht genug! Als er 1764 mit dem Jurastudium fertig ist, wird er in den Adelsstand gehoben. Er ist jetzt Lorenz von Aichberger!

Damit verbunden ist das Recht, ein Wappen zu führen. Doch Lorenz hat keins. Er weiß aber, dass es in Bayern einige hundert Jahre vorher schon ein Rittergeschlecht gegeben hat, das auch Aichberger [damals noch „Aichperg”] geheissen hat. Diese Leute stammten aus „Eichberg”, einem kleinen Flecken im Bayerischen Wald.

Eichberg (Bayerischer Wald)

Sie lebten im Mittelalter, wohnten auf Burgen, hatten lange Lanzen und ritten auf Pferden. Ritter halt. Das heißt, genau betrachtet gehörten sie dem sogenannten Ministerialadel an. Damit waren sie von ihren jeweiligen Landherren abhängig. Sie wohnten auf Schlössern und Burgen, aber meist nur als „Pfleger”, das heißt, ihnen waren die Burgen anvertraut, um in der Abwesenheit des Burgherrn nach dem Rechten zu sehen. Einige Burgen gehörten ihnen zeitweise auch.

Burg Hals (bei Passau) Burg Hilgartsberg (Niederbayern) Saldenburg Schloß Söldenau
Aichberger-Burgen Hals, Hilgartsberg, Saldenburg, Söldenau

Der letzte uns bekannte Aichberger-Ritter hieß Johann von Aichperg. Er starb 1511 - von da an verliert sich die Spur der alten Aichberger.

Wie gesagt, diese Story kennt 250 Jahre später auch unser Lorenz, als er relativ unverhofft in den Adelsstand gehoben wird. Ob er selbst von den
Familienwappen von Aichberger

„alten” Aichbergern abstammt, diesen Nachweis kann er zwar nicht erbringen, doch er ersucht den König um die Erlaubnis, so tun zu dürfen als ob.
Der nickt gnädig und so nimmt Lorenz das Wappen der „alten” Aichberger als das seine an. Hier ist es. Es zeigt drei Hügel und ein Eichenzweigchen mit Eicheln.

1771 heiratet er eine gewisse
Maria Anna von Lafabrique

1774 kommt sein erster Sohn Franz zur Welt.

Maria Anna von Lafabrique

1784 kauft und bezieht er ein stattliches Anwesen, „Birkenleiten”, außerhalb von München, malerisch am „Auer Mühlbach” gelegen. Nun ja, heute liegt Birkenleiten innerhalb von München ...

Birkenleiten, München-Untergiesing

1798 wird er Richter, ...

1808 oberster bayerischer Richter. Und einen Orden bekommt er auch noch, den „Königlich Baierischen Civil Verdienst-Orden von der baierischen Krone”.

Lorenz von Aichberger im Alter


Mit dem Ding um den Hals könnte man sich ja eigentlich mal wieder
malen lassen, oder?

1811 stirbt seine 8 Jahre jüngere Frau Maria Anna.

1815 feiert er sein 50-jähriges Dienstjubiläum. Er selbst ist da schon 73 Jahre alt. In einer Zeit, als die Lebenserwartung der Männer, die bis zu ihrem 15. Lebensjahr noch nicht gestorben waren, 57 betrug, war das schon ganz schön alt.

Münchener Politische Zeitung vom 8. Juni 1815

Ein Artikel, erschienen in der „Münchener Politischen Zeitung” vom 8. Juni 1815 würdigt dies:

"Baiern. München, den 18. Juny. Wenn an einem Orte eine Pflanze zur Blüthe gelangt, die nur alle dreißig oder fünfzig Jahre zu blühen pflegt, so ist es Sitte, eine solche seltene Erscheinung öffentlich bekannt zu machen. Wir erfreuten uns gestern einer ähnlichen, aber in jedem Betrachte für die Menschheit weit anziehenderen Erscheinung. Es wurde das fünfzigjährige Dienstjubiläum unseres würdigen Ober-Appellations Direktors und Ritters des Verdienst-Ordens, Lorenz von Aichberger, gefeyert. Wenigen Sterblichen ist es gegönnt, ein hohes Alter zu erreichen, und daher ist das Alter schon an sich ehrwürdig, noch seltener aber wird Staatsdienern das Glück zu Theil, nach fünfzig, dem Vaterlande rühmlich geweihten Dienstjahren, noch eines so frischen und, so zu sagen blühenden Alters zu genießen, als nur wenige Menschen sich kaum nach fünfzig Lebensjahren noch zu erfreuen haben.

Es hagelt Grußworte und Lobeshymnen, doch ein Festgedicht sticht besonders heraus und verdient, nicht in Vergessenheit zu geraten. Das Gedicht ist überschrieben mit:

Dem geliebtesten Vater und Jubelgreise von seinen Kindern nach dem öffentlichen Feste
im Familienzirkel


Vorüber ist die Feyer,
verklungen hat das Lied,
doch bleibt noch wert und teuer
was man nicht wiedersieht.

Es rühmen noch die Gäste
das Lied und den Verein,
Und sprechen von dem Feste
und von dem guten Wein.

Geschmückt ist jene Stunde
nach Jahren noch zu sehen,
und jene Tafelrunde
nennt jeder froh und schön.

Da nahen sich die Kinder,
an Zahl nicht wenig klein
und wollen sich nicht minder
als schon geschehen freun.

Denn heilig ist vor allen
den Kindern dieses Fest,
das sich um zu gefallen
so glänzend sehen läßt.

Drum wird im Lied erhoben,
was groß und heilig ist,
es kömmt von dem der oben,
des Menschen Leben mißt.

Er ließ den Tag erscheinen,
der lange ward erfleht,
dankbare Kinder weinen
und stammeln ihr Gebet.

Und sieb'nzehn Enkel dringen
mit Gruß und Kuß herein
und jubeln laut und singen
und laden alles ein.

Denn Alles muß sich freuen,
kein lebend Herze schweigt,
wo sich bei seinen Treuen
der gute Vater zeigt.

Umgeben und umschlungen
von Kindern groß und klein,
sieht er Erinnerungen
im sanften Widerschein.

„sieht er Erinnerungen in sanftem Widerschein.” Gemeint sind die Erinnerungen an Maria Anna, seine 4 Jahre zuvor gestorbene Frau. Die Trauer über ihren Tod mag er noch nicht überwunden haben, aber seine Kinder trösten ihn:

Er sieht, was ihm geblieben
und was er nicht mehr hat.
Die Trauer will er lieben,
doch ehrt er Gottes Rat.


Und nennet ernst und stille,
die nicht zugegen sind,
und ruft sie im Gefühle
der Wehmut, die gewinnt.

Oh Vater, Vater, hebe
zu uns den Blick empor.
Uns bleibe du, uns lebe,
laß ruhen, was sich verlor.

Laß ruhn, was ist gewesen
und nimm, was vor dir ist,
Die Frucht nun sollst du lesen,
die stets sich gut genießt.

Dankbare Kinder bieten
Dir, was sie haben an,
und edle Engel hüten,
Dich edlen guten Mann.

So währt die lange Reise,
die keine Kraft verliert,
bis sich dem müden Greise
der Himmel öffnen wird.

Uns aber bleibt Dein Glaube,
Dein Segen und Dein Wort,
So setzt sich - stirbt die Traube -
der Geist im Weine fort.

Lorenz von Aichberger stirbt am 10. April 1824 mit über 80 Jahren in München. Bis vor einigen Jahren stand in Eresing noch sein Geburtshaus. Daran war eine Gedenktafel befestigt:

Gedenktafel an Lorenz von Aichberger in Eresing

Kleine Richtigstellung „in eigener Sache”: Während sich Lorenz das „von” tatsächlich selbst verdient hat, ist es für mich lediglich Bestandteil meines Nachnames - nicht mehr und nicht weniger. Wäre es noch ein Titel, so hätte ich ihn nicht. Denn dieser Titel durfte nur an den Erstgeborenen weitergegeben werden. Ich aber habe noch einen älteren Bruder ...